Lucia – Engel des Todes? Ein niederländisches Justizdrama

Lucia-Engel-des-Todes-01-vorschauIm Jahr 2010 machte in den Niederlanden ein Prozess von sich reden, der einen der größten Justizirrtümer der niederländischen Geschichte korrigierte. Nach sechseinhalb Jahren Haft wegen mehrfachen Mordes wurde die Kinderkrankenschwester Lucia de Berk endlich von allen Vorwürfen freigesprochen. Das niederländische Drama „Lucia –Engel des Todes“, das nun als Home Entertainment Premiere auch in Deutschland veröffentlicht wurde, zeichnet die abstruse Geschichte mit ruhiger Hand nach.

Im Jahr 2003 stirbt der Kinderkrankenschwester Lucia de Berk (Ariane Schluter) ein Säugling auf der Intensivstation weg. Kurz darauf wird sie zum Klinikchef zitiert, der etwas ganz anderes von ihr will.  Die Krankenschwester glaubt sich rechtfertigen zu müssen, dass ausgerechnet ihr immer die Patienten wegsterben. Und in der Tat ist Lucia in ihrem Berufsleben erstaunlich häufig bei Patienten, die kurz darauf versterben. Außerdem ist die engagierte Krankenschwester einzelgängerisch und wird von ihren Kolleginnen nicht sonderlich geschätzt. Der Verdacht, dass sie an den Todesfällen beteiligt sein könnte, ist schnell in der Welt.

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Todesfälle auf der Kinderstation

Auch die Polizei springt auf den möglichen Verdacht an. Angetrieben von der jungen Nachwuchs-Staatsanwältin Judith Jansen (Sallie Harmsen) wird die ahnungslose Krankenschwester befragt. Kurz darauf  wird Lucia wegen mehrfachen Mordes und Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt. Obwohl Lucia konstant beteuert, unschuldig zu sein, scheinen die Fakten gegen sie zu sprechen. Selbst der ambitionierte Anwalt Quirjin Herzberg (Fedja van Huet) kann wenig ausrichten. In der Haft droht Lucia zu zerbrechen und ihre Familie wird auf eine schwere Probe gestellt.

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Obwohl die Fakten dieses unglaublichen Justizirrtums bekannt und noch relativ aktuell sind, verstört das dramatisierte Schicksal der niederländischen Krankenschwester Lucia de Berk dennoch. Darstellerisch ist „Lucia – Engel des Todes“ vor allem in den Frauenrollen nicht nur stimmig besetzt, sondern auch mit kargem, realistischen Spiel großartig dargestellt. Die Atmosphäre, die Regisseurin Paula van der Oest durchgehend beibehält, ist kalt, düster, abweisen und in blauem Licht gehalten. Das ist bisweilen vielleicht etwas plakativ, aber in der Stimmung gerechtfertigt. Es entspricht sowohl der Atmosphäre der Ablehnung, die Lucia entgegenschlägt, als (vermutlich) auch ihrem Gefühl der Hoffnungslosigkeit.

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Kein thrilerartiges Psychogramm

Das Drehbuch von Monik Kramer und Tijs von Marle, der hierzulande vor allem durch  Kinderfilmen wie „Die Baumhauskönige“ und „Mister Twister“ bekannt ist, hat zwar einige Hänger, überzeugt aber gerade durch die unaufgeregte Inszenierung. Hänger, in denen der Film sich sehr viel Zeit bei den Ermittlungen und der Figurenbeobachtung lässt, Hier geht es nicht um spektakuläre Medienschelte oder einen thrillerartiges Psychogramm, sondern darum zu zeigen, wie es zu diesem Justizirrtum kommen konnte.

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Dazu  ist es inszenatorisch klug, dass das Drama die Perspektiven von zwei Charakteren verknüpft und gegeneinander stellt: Anstatt sich nur auf die Sichtweise des Opfers zu verlassen, entwickelt sich die junge Staatsanwältin zur zweiten Hauptperson. Erst ihre Zweifel bringen die emotionale Dynamik hervor und gestatten es dem Zuschauer sich in unterschiedliche Bewertungen des Falles hineinzuversetzen. Lucia hingegen verharrt, sehenswert gespielt von Ariane Schluter, in ihrer wortkargen Art dramaturgisch lange im Zwielichtund nur ihre als Rückblenden inszenierten Kindheitserinnerungen geben dem verschlossenen Gesicht eine Geschichte.

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Rechtsprechung und Vorurteil

Lucias Geschichte ist schon leidgeprägt genug. Dass eben diese schwere Kindheit nun dergestalt missinterpretiert wird, um sie die kriminellen Energien und Absichten der Krankenschwester noch zu unterstreicht, grenzt eigentlich schon an Rufmord. So wie im Nachhinein eigentlich der gesamte Prozess inklusive der nicht so ganz stichhaltigen und sehr indizienlastigen Beweisführung. Die wichtigste Botschaft, die das Justizdrama „Lucia – Engel des Todes“ zu vermitteln hat lautet vielleicht: Vorsicht mit vorschnellen Urteilen und Vorurteilen. Davor sind weder Richter, Journalisten, weder Gesellschaften noch Individuen immer gefeit.

Das niederländische Drama „Lucia – Engel des Todes“ verzichtet auf eine reißerische Thriller-Inszenierung und rückt so die Personen in den Blickpunkt der Zuschauer. Das Schicksal einer zu Unrecht verurteilten Krankenschwester wird dadurch umso ergreifender und trotz einiger Längen sehenswert nacherzählt.

Film-Wertung:6 out of 10 stars (6 / 10)

BD-Cover_LuciaLUCIA – Engel des Todes?
OT: Lucia De B. (engl. Accused)
Genre: Drama, Justiz-Thriller
Länge: 103 Min (+ 17 Min Bonus: Making Of), NL, 2014
Regie: Paula van der Oest
Darsteller: Ariane Schluter, Sallie Harmsen, Fedja Van Huet, Barry Atsma
FSK: 12
Vertrieb: Edel
DVD- & BD-VÖ: 29.01.2016