Whiplash: Mein Tempo oder kein Tempo!

Wer will schon einen Film über Jazz Drummer sehen, fragte sich Filmmacher Damon Chazelle, als er seinen ebenfalls „Whiplash“ benannten Kurzfilm aufnahm, um daraus einen abendfüllenden Spielfilm zu machen. Das Kalkül und auch die Hilfe des Sundance Institutes sind aufgegangen und „Whiplash“ hat drei Oscars abgeräumt. Seit einigen Monaten gibt es „Whiplash“ nun auch als DVD und Blu-ray.  Man muss kein Musiknerd sein, um den faszinierenden, adrenalingetränkten Film genießen zu können. „Whiplash“ ist zwar nach dem Jazz Standard von Hank Levy benannt, hat aber vom Energielevel eher etwas mit Metallicas Headbangerhymne zu tun. „Adrenaline starts to flow – You’re thrashing all around -Acting like a maniac- Whiplash!”

Andrew (Miles Teller) ist 19 und will Jazz-Drummer werden. Seit einem Semester studiert er an einem renommierten Jazz-Konservatorium. Das bedeutet im Normalfall, bei den praktischen Seminaren und Big Band Proben zur Zweitbesetzung verdonnert zu werden. Zuhören, lernen und dem trommelnden Kollegen die Noten umzublättern. Doch als sich Andrew abends allein im Institut die Finger wund trommelt, kommt der legendäre Jazzlehrer Terence Fletcher (J. T. Simmons) vorbei, hört kurz zu und zeiht wortlos wieder ab.

Einige Tage später holt Fletcher Miles als Zweitbesetzung in seine Big Band, die er aus den Besten des Instituts zusammengestellt hat, um an Wettbewerben teilzunehmen. Doch Andrew lernt schnell, dass die Zugehörigkeit zu Fletchers Band eine zweifelhafte Ehre bedeutet, denn der hat seinen Ruf als harter Hund und unnachgiebiger Tyrann redlich verdient. Immer wieder werden die jungen Musiker von ihrem despotischen und sadistischen Bandleader erniedrigt, beschimpft und als Dilettanten hingestellt.

Und so steigert sich Andrew in einen krampfhaften Ehrgeiz, es dem Alten zu zeigen, und konzentriert sein gesamtes Leben auf die Big Band. Bei einem Auftritt bekommt Andrew schließlich seine Chance, weil die Schlagzeugnoten für „Whiplash“ verschwunden sind und sein Kollege, das Stück nicht auswendig spielen kann. Doch Fletchers Gunst ist eine wankelmütige Schlange.

„Whiplash“ ist im Grunde ein typischer Schul-oder Studentenfilm mit Coming of Agen Elementen, doch wo sich „Fame“ und Konsorten auf die gute Laune verlegen, andere Genrebeiträge die Casting-Dramaturgie einer TV-Show kopieren und Filme wie „Club der toten Dichter“ auf ein beinahe heroisierendes Lehrer-Schüler Verhältnis verlegen, setzt „Whiplash“ (Deutsch: Schleudertrauma“) einen fiesen Kontrapunkt. Andrew, der aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammt, ist von Ehrgeiz  zerfressen.  Er beendet sogar präventiv die sich anbahnende Beziehung zu Nicole (Melissa Benoist), um nicht vom Schlagzeugspielen abgelenkt zu werden. Fletcher seinerseits mit dem Idealbild eine hilfreichen umsorgenden Pädagogen absolut nichts gemein. Der immer schwarz gekleidete Bandleader wirkt wie ein sadistischer Militärausbilder. Ihm stehen als didaktische Mittel nur Konkurrenzdruck, Erniedrigung und despotische Disziplin zur Verfügung.

Zwischen Andrew und Fletcher kommt es zu einem beinahe sadomasochistischen Zerrbild eines Schüler-Lehrerverhältnisses, das unbeirrbar auf ein Desaster zusteuert, ohne dass für beide (und auch die anderen Schüler in Fletchers Band) eine Alternative denkbar wäre. Das wird von Damien Chazelle bis zum bitteren Ende durchexerziert und hat in seiner Intensität eine morbide Faszination. Getragen wird diese „Master and Servant“-Beziehung von fulminanten Darstellern. Miles Teller („Divergent“), die viele der Schlagzeugparts selbst einspielte, trommelt sich die Haut von den Fingern und schnell wird fraglich, ob er noch seinem eigenen Ehrgeiz folgt, oder ob das Bestehen vor dem Tyrannen zum Selbstzweck geworden ist. J. T. Simmons („Juno“, „Up in the Air“) ist dermaßen diabolisch, dass er wirkt als wäre er ein aus Kubriks „Full Metal Jacket“ entsprungener Marineausbilder. Sein Oscar als bester Nebendarsteller ist mehr als verdient  (und war ohnehin überfällig). Die bösartige Chemie zwischen den beiden Protagonisten ist ebenso schillernd wie abstrus.

Seine Deutschlandpremiere feierte „Whiplash“ beim Filmfest Hamburg 2014. Zuvor hatte Damien Chazelles Film schon beim Sundance Filmfestival abgeräumt. Der Filmmacher weiß, wovon er erzählt, denn die Story ist auch biographisch geprägt. Filmisch ist „Whiplash“ nah an der Musik und der Sound ist einfach großartig. Als Bonusmaterial gibt es einiges zu entdecken. Der 15-minütige Kurzfilm, den man aus dem Langfilm wiedererkennen wird, ist noch mit einem anderen Hauptdarsteller besetzt, dazu gibt es ein 45-minütiges Feature über berühmte Drummer und ihre Ausbildung und musikalische Karriere, die vor allem Musiker interessieren wird. Zudem ist noch Festivalfootage vom Toronto Filmfestival enthalten. Alles in allem also eine umfassende Edition des herausragenden Musikfilms.

Bei aller Faszination die „Whiplash“ kreiert, hat der Film auch etliche Aspekte, die man aus diversen Gründen auch kritisch hinterfragen kann. Etwa die Rrduktion des Jazzinstitutes als Raum für Bigband-Swing, denn keine andere Spielart des Jazz kommt in „Whiplash“ vor. Das erlaubt zwar dramaturgisch stimmig zwar die Fokussierung auf den Konflikt, greift aber musikalisch extrem kurz. Die in einer Szene kurz eingeblendete provokante These „Spiel doch in einer Rockband, wenn du kein Talent hast“, sorgt zwar für einen Lacher, zeigt aber auch auf, aus welcher Geisteshaltung heraus Jazz als Musikstil in den letzten Dekaden  als populäre Musik so irrelevant geworden ist.

Das wirft dann auch die Frage auf, warum sich denn alle jungen Musiker von Fletchers Bigband, seiner Terror unterwerfen statt gleich Klassik zu studieren? Was jemand nach der Ausbildung tut, bleibt davon ja unbenommen. Aber am aller meisten hat mich die filmische Auflösung des Konfliktes in „Whiplash“ irritiert Die ist zwar durchaus interpretationsoffen, hat mich aber nach dem energetischen Höhenflug wieder rüde auf den Boden katapultiert. Aber das mag jeder anders erleben. Ein intensiver Film bleibt „Whiplash“ auf jeden Fall.

Das Musikdrama „Whiplash“ ist auch ohne musikalische Vorbildung intensives Kino wie man es selten  zu Gesicht bekommt. Der Sundance-Gewinner und Publikumsliebling von Newcommer Damien Chazelle zeigt die Besessenheit eines jungen Jazz-Drummers, der sich den Methoden eines beinahe sadistischen Lehrers aussetzt, um erfolgreich zu sein.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Whiplash
Genre: Musikfilm, Drama
Länge: 107 Minuten, USA, 2014
Regie: Damien Chazelle
Darsteller: Miles Teller, J. K. Simmons
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Sony
Kinostart: 19.02.2015
DVD-BD-VÖ: 19.07.2015