Witnesses – Die Zeugen -Staffel 1: Seilbahn zum Friedhof

Dass auch die Franzosen Thriller-Serien können und den Lokalkrimi für sich entdeckt haben, beweist die Miniserie „Witnesses – Die Zeugen“ sehr eindrücklich. Seltsame Grabschändungen führen eine junge, ambitionierte Polizistin in die Abgründe einer Kleinstadt und ein Ex-Kollege und alter Bekannter scheint tief in die ganze mysteriöse Angelegenheit verwickelt zu sein. Nach dem großen Komödienhit „Willkommen bei den Sch’tis“ ist Nord-Pas-De-Callais, die nördlichste Region Frankreichs, nun Schauplatz greulicher Verbrechen.

In einem kleinen Ort an der nordfranzösischen Küste werden Leichen in einem Musterhaus entdeckt. Unbekannte Täter haben einen Mann, eine Frau und einen Teenager aus Friedhöfen der Umgebung geklaut und hier wie eine Familie drapiert. Als sich der Vorfall wiederholt und in einem weiteren Musterhaus das gleiche Arrangement gefunden wird, ist die Polizei von Lille ratlos. Dann entdeckt einer der Beamten das sorgsam auf dem Nachttisch plazierte Foto eines ehemaligen Kollegen. Kommissar Paul Maisonneuve hatte vor zwei Jahren einen Autounfall und befindet sich seitdem in der Reha und im Ruhestand.

Ein gegensätzliches Ermittlerpaar

Als Maisonneuve zu den Ermittlungen hinzugezogen wird, gibt er vor, keine Ahnung zu haben. Doch die junge Polizistin Sandra Winckler ist sich sicher, dass der Ex-Kollege etwas verschweigt. Außerdem hat sie schlechte Erinnerungen an den Mann, der vor acht Jahren ihr Ausbilder an der Polizeiakademie war. Erst als in einem dritten Haus wieder eine tote Kleinfamilie gefunden wird, verdichten sich die Spuren und zeigen einen deutlichen Zusammenhang mit der Vergangenheit des Kommissars.

Alle Spuren deuten auf Kaz Gorbier hin, einen Zahnarzt, der vor Jahren in dem Ort Frauen geschändet und getötet hat, bis ihm Maisonneuve das Handwerk legte. Aber Gorbier ist bei einem  Gefängnisbrand ums Leben gekommen. Wohl oder übel müssen Winckler und Mainsonneuve zusammenarbeiten, um den Geschehnissen auf den Grund zu gehen und die Täter dingfest zu machen.

Gräber und Reihenhäuser

Die sechsteilige Miniserie von Hervé Hadmar und Marc Herpoux lebt vor allem von der stimmigen und düsteren Atmosphäre. Seine Spannungsmomente setzt „The Witnesses“ geschickt und serienwirksam gerne an das Ende der einzelnen Episoden und die kriminalistische Handlung erweist sich als vertrackter als zunächst offensichtlich. Zusätzlich trägt das angespannte Verhältnis der beiden Ermittler zu gelungener Serienunterhaltung bei.

Mit dem eleganten Haudegen Thierry Lhermitte („Dinner für Spinner“, „Little Indian“) und der Newcomerin Marie Dompnier hat „Witnesses“ ein solides Ermittlergespann am Start, das auch noch von einem eher im Hintergrund agierenden Team unterstützt wird. Der Beamte Justin (Jan Hammenecker) fungiert dabei gewissermaßen als Bindeglied zwischen Sandra und Paul. Zur Zeit ist er Sandras direkter Partner, kennt aber Paul noch aus dessen aktiven Zeit. In dem intelligenten und leicht psychotischen Kaz Gorbier (Laurent Lucas) finden die Polizisten einen würdigen Gegner, der über lange Strecken der Mini-Serie immer einen Schritt voraus zu sein scheint.

Rauer Küstencharme

Vielleicht hat das französische TV den Trend zur linear erzählten, staffelbasierten Serie ein wenig verschlafen. Zumindest wurde man hierzulande kaum einmal auf eine neuere französische Serie aufmerksam. Aber man hat gelernt und die Serienmacher Hervé Hadmar Marc Herpoux bedienen sich bei den Besten des Genres. Ganz im Stil skandinavischer Thriller-Serien ist der Vorspann mit dem eingängigen Titelsong „We don’t Die“ von Tricky gehalten, das kleinstädtische Setting mit tief in der Vergangenheit verwurzelten Verbrechen, gemahnt an David Lynchs „Twin Peaks“ (wenngleich ohne dessen Humor und Absurdität) und die Kulisse mit den Steilküsten um das kleine Städtchen Le Tréport ist stimmig ausgewählt und kann solide mit den Küstenimpressionen der britischen Serie „Broadchurch“ mithalten. Die malerische Seilbahn wurde wie auch andere regionale Locations stimmungsvoll integriert. Der Hafen von Dünkirchen, der Fähranleger, brachliegende Industriegebiete und der bodenständige Charme von Lille ergeben eine stimmungsvolle Kulisse für eine kriminalistische Schnitzeljagd. Angereichert wird das Ganze noch mit einem märchenhaften Rotkäppchen-Motiv.

Rotkäppchen und der Wolf

Selbstredend wird auch in „Witnesses“ viel ermittlungstechnisches Klinkenputzen inszeniert, was bisweilen ein wenig überstrapaziert wird  und die privaten Probleme der jungen Polizistin mit ihrem Ordnungsfimmel, der Schlaflosigkeit und dem überflüssigen Eheproblem  wirken ein wenig überstrapaziert und plakativ inszeniert. Ganz so als würden die Serienmacher nicht auf die Tragkraft des Konfliktes zwischen den beiden Ermittlern vertrauen. Abgesehen von seinem schon auf die Handlung weisenden Namen Maisonneuve (deutsch: „neues Haus“) ist der alte Hase stimmiger charakterisiert. Nach dem Tod seiner Frau hat er versucht sich das Leben zu nehmen, weil er die Einsamkeit nicht ertragen kann. Sandra kommt erst im Laufe ihrer Nachforschungen auf das offene Geheimnis von Pauls Unfall.

Einige Handlungsstränge wirken in „Witnesses“ zwar nicht ganz ausgereift und die Serienmacher halten mit Informationen wohl dosiert hinterm Berg, aber im Großen und Ganzen hat die Französische Miniserie spannende, atmosphärische Thriller-Unterhaltung zu bieten.

Serien-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Witnesses – Die Zeugen Staffel 1
OT: „Les témoins“
Genre: Thriller, Krimi, Serie
Länge: 312 Minuten, F. 2015
Idee: Hervé Hadmar, Marc Herpoux
Regie: Hervé Hadmar
Darsteller: Thierry Lhermitte, Marie Dompnier, Laurent Lucas, Jan Hammenecker
FSK: ab 16 Jahren
DVD- & BD-VÖ: 04.09.2015