Liebe auf den ersten Schlag: Waldbrand im Herzen

Um einem Schlag die nötige Durchschlagskraft zu verleihen, muss man doppelvisualisieren: Man zielt mit seiner Kraft auf einen Punkt etwa 30 Zentimeter hinter dem Gegner. Die Wucht, die so entwickelt wird, zeichnet auch Thomas Cailleys ersten Spielfilm aus. „Liebe auf den ersten Schlag“ (OT: „Les Combattants“) wurde in Frankreich zu Recht gefeiert und ist einer der schönsten, intensivsten und berührendsten Filme des Sommers. Es geht um die Liebe. Und wenn man jung ist, bedeutet das nicht weniger als das nackte Überleben.

An der südfranzösischen Atlantikküste (Departement Landes) verbringen andere Leute ihren Sommerurlaub. Hinter den touristischen Badeorten erstrecken sich Seen und ausgedehnte Wälder, die in trockenen Sommern immer wieder unter Waldbränden zu leiden haben. Viel zu tun gibt es in der wirtschaftlich eher schwachen Region eigentlich nicht und das französische Militär ist unterwegs, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren und junge Leute anzuwerben.

Auch Arnauld (Kévin Azaïs) ist mit seinen beiden Kumpels da, um sich zu informieren. Eigentlich hat er sich schon entschieden, dass er seinem älteren Bruder Manu dabei helfen will, den kleinen Handwerksbetrieb der Familie weiterzuführen. Nach dem überraschenden Tod des Vaters ist die Zukunft des Betriebs ungewiss. Nach dem Infogespräch wird Arnauld dann am Strand von seinen Kumpels genötigt, bei einer Nahkampfdemonstration mitzumachen. Erst weigert er sich, weil er es mit einem Mädchen zu tun bekommt, aber Madeleine (Adèle Haenel) legt Arnauld dermaßen locker aufs Kreuz, dass er sich nur durch Beißen befreien kann.

Einige Tage später sollen die Brüder bei einer Familie ein Gartenhaus aufbauen und Manu überlässt Arnauld die Verantwortung. Der ist einigermaßen überrascht, als sich die Tochter des Hauses als eben diejenige herausstellt, die er schon am Strand getroffen hat. Madeleine ist verschlossen, abweisend und äußerst pessimistisch, was die Zukunft der Welt angeht. Fest davon überzeugt, dass der totale Kollaps bevorsteht, bereitet sie sich resolut auf den Überlebenskampf vor, und ist wild entschlossen, bei der härtesten Truppe der Armee eine Einzelkämpferausbildung zu machen.

Arnauld ist fasziniert von dem Mädchen. Und als Madeleine sich für ein Vorbereitungscamp für den Wehrdienst verpflichtet, tut er es ihr nach. Aber Madeleine ist enttäuscht von der verweichlichten Ausbildung und dem Kantinenfraß, der so gar nichts mit Survival zu tun hat. Arnauld beschließt, drastische Maßnahmen zu ergreifen, um seine Liebe zu gewinnen und der Überlebenskampf kann beginnen.

Mit viel trockenem Humor erzählt Filmmacher Cailley seine fantastische Liebesgeschichte und zeichnet dabei nicht nur ein wunderbares, mit Rollenklischees und Gendervorurteilen spielendes Coming of Age, sondern portraitiert beinahe beiläufig auch den Landstrich und seine Charakteristika. Für die großartigen Bilder und Landschaftspanoramen sorgt dabei Cailleys Bruder David.


Gerade indem sich der Film voll auf seine beiden hinreißend überzeugenden Protagonisten verlässt, entfalten andere Aspekte des Films ihre Wirkung eher unterschwellig. Die anfänglich erwähnten Waldbrände hat man schon fast wieder vergessen, bevor sie dramaturgisch relevant werden. Das Militär und deren Anwerbungspräsenz, etwas was hierzulande eher selten ist und wie jüngst beim Tag der offenen Tür bei der Bundeswehr zu absurder Medienberichterstattung führte, bekommt sein Fett ab, ohne dass das explizit thematisiert werden muss. Musikalisch wird das ganze stimmig von typisch französischen Elektrosounds begleitet, produziert von Hit’n’Run, die gleichzeitig cheesy und irgendwie doch cool sind, sommerliche Partystimmung und Leichtigkeit der Jugend vermitteln.

Das Magische in „Les Combattants“ aber geht von der Beziehung zwischen Madeleine und Arnauld aus. Die beiden so unterschiedlichen Charaktere agieren mit unfassbarer Intensität und einem heiligen Ernst, der schlicht mitreißend ist. Dass die anfangs rüde, später rührende Annäherung zwischen dem burschikosen Mädchen und dem zurückhaltenden Jungen dabei nicht ins Kitschige abgleitet, liegt auch am trockenen Humor; vor allem aber an der Inszenierung von Körperlichkeit, über die „Liebe auf den ersten Schlag“ eine außergewöhnliche Leinwandpräsenz bekommt, ohne jemals voyeuristisch zu sein. Zuletzt habe ich solche physische Präsenz bei „Der Geschmack von Rost und Knochen“ erlebt.

„Les Combattants“ überlebt in der Wildnis des Filmgeschäfts. „Liebe auf den ersten Schlag“ ist mehr als ein Wirkungstreffer in die Magengrube. Knock Out von der ersten Minute an und ein unangefochtener Sieg nach fast hundertminütigem In-Fight.

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Liebe auf den ersten Schlag
OT: Les Combattants
Genre: Drama, Romanze
Länge: 98 Minuten, F, 2014
Regie: Thomas Cailley
Darsteller: Adèle Haenel, Kévin Azaïs, Antoine Laurent
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Tiberius, 24 Bilder
Kinostart: 02.07.2015