Das echte Leben –Digitale Welten: Alles ist vernetzt

Längst haben Frauen und Mädchen auch den Gaming Bereich für sich entdeckt und tummeln sich ebenso selbstverständlich in den fantastischen Computerspielwelten wie ihre männlichen Mitspieler. Oberflächlich betrachtet mag die Graphic Novel „Das echte Leben – Digitale Welten“ wirken wie eine Geschichte für junge Leserinnen, aber es steckt mehr dahinter. „Das echte Leben“ zeigt auf nachvollziehbare und spannende Weise, dass das wirkliche Leben und die Virtuelle Realität längst soweit verschränkt sind, dass das Internet auch unseren Alltag mitbestimmt.

Die junge Anda lebt in Flagstaff, Arizona und mag Computerspiele. Eines Tages taucht in Andas Klasse die Gamerin Lisa auf und ermuntert die Mädchen, die sich für Computerspiele interessieren, doch an dem Online-Rollenspiel „Coarsegold“ teilzunehmen und auch online einen weiblichen Spielcharakter zu wählen. Anda braucht dazu die Erlaubnis und die Kreditkarte ihrer Mutter und die willigt auch ein, mahnt ihre Tochter aber, vorsichtig zu sein.

Als „Kalidestroyer“ wird Anda in dem Game Mitglied in Lisas rein weibliche Spielergilde „Fahrenheit“. Im Spiel trifft sie die toughe Sergeantin Lucy, die ihr anbietet, beim Spielen auch noch richtiges Geld zu verdienen. Dazu geht Anda auf die Jagd nach Goldfarmern, kleinen Spielfiguren, die in „Coarsegold“ Gold ernten. Anda glaubt zunächst, es handele sich dabei um Bots, als Computerprogramme, die das Spiel beeinflussen und einer Firma ermöglichen, mit dem Gold zu handeln. Doch lernt Anda einen der Goldfarmer kennen und es stellt sich heraus, dass er ebenso ein Gamer ist wie sie. Nur dass Richard ein Chinese ist und als Goldfarmer seinen Lebensunterhalt verdient.

Für die geernteten Goldeinheiten, die von der Firma an andere, faule und reiche Spieler real weiterverkauft werden, bekommt Richard einen Lohn, mit dem er sein Leben und seine Ausbildung finanziert und seinen wirklichen „Coarsegold“-Avatar. Anda möchte ihrem neuen Freund helfen und überlegt, wie sich die Arbeitsbedingungen in der chinesischen Firma verbessern lassen. Doch damit löst Anda etwas ganz anderes aus und kommt außerdem selbst in arge Schwierigkeiten.

Die Kurzgeschichte „Andas Game“ von Cory Doctorow ist bereits zehn Jahre alt, aber die Themen werden deshalb nicht weniger aktuell. Auch Neil Stephenson hat in seinem Thriller „Error“ den globalen Geldfluss virtueller Währung thematisiert und daraus eine spannende Geschichte gemacht. Der kanadische Autor und Aktivist Doctorow schreibt vornehmlich für eine jüngere Leserschaft und hat häufig einen Bezug zu Gaming und dessen realen wirtschaftlichen Auswirkungen thematisiert. Auch in seinem Vorwort zu der von Illustratorin und Zeichnerin Jan Wang hinreißend umgesetzten Graphic Novel geht Doctorow noch einmal darauf ein, wie wichtig es ist, auch online bewusst und umsichtig zu agieren.

Für die graphische Umsetzung hat Jan Wang die Welt des MMPRPG „Coarsegold“ auf fantasievolle Weise zum Leben erweckt. Gleichzeitig wird das Spieleerlebnis mit seinen eingeblendeten Status-Meldungen, Goodies und Spiele-Optionen realistisch und mit einer angemessenen Portion Action einbezogen. Für die Umsetzung hatte Jen Wang freie Hand, nachdem die Grundzüge der Adaption mit Autor Doctorow abgeklärt waren.

Aber es geht in „Das echte Leben“ nicht nur um globale Zusammenhänge. Im Mittelpunkt der Story steht Anda mit ihrem scheinbar langweiligen Alltag und ihrer Leidenschaft für Computerspiele. Das schüchterne Mädchen macht eine Entwicklung durch, wird durch ihre Erfahrungen und das Online-Game erwachsener und selbstbewusster. Das ist ein ebenso wichtiger, vielleicht wertvollerer Aspekt der einfach gehaltenen, inhaltlich aber komplexen Story. Auch dieses „echte“ Leben wird von Jan Wang mit viel Empathie und Liebe zum (wesentlichen) Detail umgesetzt. Und das ist noch immer notwendig.

Wie wichtig es ist, auch im Bereich Computer und Gaming da ein weibliches Selbstbewusstsein zu entwickeln hat die Journalistin Marie Gutbub jüngst im Freitag thematisiert(Der Freitag, Nr. 23, 2015, vom 4. Juni: „An die Tasten, Schwestern“). Höchst anschaulich wird die mangelnde Akzeptanz der Szene in Hinblick auf Frauenkompetenz in Computerangelegenheiten beschrieben, wird geschildert mit welchen Vorurteilen und (zum Teil unterschwellig sexistischen) Klischees Frauen sich in der Nerdcommunity der Gamer und Computerfreaks noch immer herumschlagen müssen. Auch in dieser Hinsicht ist „Im echten Leben“ empfehlenswert – und eben nicht nur für junge Leserinnen.

Die Graphic Novel „Das echte Leben – Digitale Welten“ begeistert mit einer sympathischen Heldin, und einer spannenden Geschichte, aus der man auch noch etwas lernen kann, was weit über das eigentliche Thema hinausgeht. Jen Wang ist eine wunderbare Umsetzung von Cory Doctorrows Kurzgeschichte gelungen.

Comic-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Das echte Leben – Digitale Welten
OT: In Real Life
Genre: Graphic Novel, Gaming, Erwachsenwerden,
Autoren: Jen Wang & Cory Doctorow (Kurzgeschichte „Andas Game“)
Zeichnerin: Jen Wang
Verlag: Panini Comics, Hardcover, 200 Seiten.
VÖ: 19.05.2015

Das echte Leben bei Panini

Jen Wangs Homepage

Cory Doctorows Blog