Inherent Vice –Natürliche Mängel: Gestatten, Sportello – LSD

INHERENT VICESelbstverständlich ist ein Film ein Film und ein Buch ein Buch! Aber bei Paul Thomas Andersons neuem Werk „Natürliche Mängel“ ist es gerade die literarische Vorlage, die für eine kleine Sensation sorgt: Der amerikanische Gegenwartsautor Thomas Pynchon hat erstmals einen seiner Romane zur Verfilmung freigegeben. Und obwohl „Inherent Vice“ als zugänglichstes Werk des großen Autors gilt, sollte man nicht allzu viel lineare Handlung von dieser großartig besetzten Kiffer-Krimi-Komödie erwarten. Dazu sind weder die Beteiligten noch der Zeitgeist angetan.

Der Hippie-Detektiv Larry „Doc“ Sportello lebt 1970 am Strand von Gordita Beach in der Nähe von Los Angeles. Eines Tages taucht seine Ex-Freundin Shasta Fay Hepworth (Katherine Waterston) bei ihm auf und bittet ihn um einen Gefallen. Kurz darauf ist Doc Hauptverdächtiger in einem Mordfall und hat den hippie-hassenden Cop „Bigfoot“ Bjornsen an der Hacke. Außerdem ist der Immobilienhai Mickey Wolfmann spurlos verschwunden.

INHERENT VICEBei seinen Recherchen kommt Sportello allerdings nicht allzu weit: Ex-Junkie Hope Harlingen bittet den Schnüffler außerdem, nach ihrem angeblich toten Ehemann Coy (Owen Wilson) zu suchen. Der war mal Saxofonist in einer Surfband und stellt sich als höchst lebendig aber extrem zwielichtig heraus. Und dann stößt Larry immer wieder auf Andeutungen über den Golden Fang, auf die er sich keinen Reim machen kann. Uns so gondelt und mäandert Doc Sportello durch Los Angeles während der große Durchblick auf sich warten lässt; die Cops immer an den Hacken.

INHERENT VICEDas Jahr ist 1970, der Schauplatz Los Angeles, Kalifornien: Jimi Hendrix lebt noch, Ex-Schauspieler Ronald Reagan ist Gouverneur von Kalifornien, Nixon ist Präsident, Charles Manson  und die Blumenkinder der Flower Power Bewegung suchen sich ihre alternativen Nischen zwischen Surferdasein und dem Zwang einen Lebensunterhalt zu bestreiten. Im fiktiven Gordita Beach tummeln sich Surfer, Freaks und Aussteiger zu denen auch Doc Sportello gehört. Drogen und Bewusstseinserweiterung gehören zum Alltag, doch die Morde der Manson Family wirken nach und es macht sich Paranoia breit.

INHERENT VICEFilmmacher Paul Thomas Anderson hat schon mit „There Will Be Blood“ eine großartige Literaturverfilmung hingelegt (Roman „Oil“ von Upton Sinclair, 1927) und nun gelingt es ihm, auf kongeniale Weise den Spirit von Pynchons 2009 erschienenem Hippie-Krimi in das Medium Film zu übertragen. Dazu wurden einige Nebenhandlungen und auch Personen weggekürzt, was allerdings aufgrund der wuseligen Szene und der immer noch massenhaft auftretenden Akteure nicht weiter ins Gewicht fällt. Die Ausstattung, die Mode und auch die Musik, die in Pynchons Romanen (diesmal Surf Rock) immer eine große Rolle spielt, sind großartig inszeniert und „Natürliche Mängel“ fährt massenhaft Schauwerte auf. Dazu gehört auch ein tolles Ensemble um einen sympathisch verpeilten Joaquin Phoenix. Außerdem bedient sich Anderson eines Erzählers, um auch einige der literarischen Passagen via Off-Text in den Film zu packen. Pfiffiger Weise lässt er Docs ehemalige Sekretärin Sortilége diesen Part übernehmen und die Gute sitzt auch schon mal (halluziniert) auf dem Beifahrersitz, während Doc unterwegs ist. Weil Sortilége (im Roman) spirituell in ganz anderen Sphären unterwegs ist, ist das absolut stimmig.

INHERENT VICEZwar ist „Inherent Vice“ oberflächlich betrachtet eine Kriminalgeschichte und man hat den Roman eigentlich ganz treffend auch als Kiffervariante von Raymond Chandlers Philip Marlowe bezeichnet, aber wer sich als Zuschauer nur auf die Ermittlungshandlung verlässt, ist schnell verloren im dem Gewirr aus Menschen und Ablenkungen, die den Kosmos von Doc Sportello bevölkern. Der Film – wie auch das Buch – versucht einen Zeitgeist, eine Gegenkultur, eine gesellschaftliche Stimmung zu fassen und das gelingt großartig. Vielleicht hat auch Robert Altmans „The Long Goodbye“ (deutsch: „Der Tod kennt keine Wiederkehr, 1973“) ein bisschen Pate gestanden, denn auch Altman schickt seinen von Elliot Gould gespielten Marlowe in den 1970ern ins Rennen. Ein bisschen verwandt im Geiste aber ebenso drogenverstrahlt ist auch Terry Gilliams ebenfalls großartige Verfilmung von Hunter S. Thompsons „Fear and Loathing in Las Vegas“ (deutsch: „Angst und Schrecken in Las Vegas“, 1998), auch wenn es in „Natürliche Mängel“ deutlich peaciger und hippieesker zugeht.

Man muss nicht stoned sein, um „Inherent Vice“ genießen zu können. Es macht einfach Spaß den Charakteren bei ihren Um- und Irrwegen zuzuschauen. Ganz großes Kino!

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

inherent-vice--plakatNatürliche Mängel
OT: Inherit Vice
Genre: Krimi, Komödie
Länge: 148 Minuten, USA, 2014
Regie & Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Romanvorlage: Thomas Pynchon
Darsteller: Joaquin Phoenix, Owen Wilson, Josh Brolin
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Warner
Kinostart: 12.02.2015

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