Stuart Christie: Meine Oma, General Franco und ich

CC_Christie_Oma_145_vorAls Mensch, der sich mit dem Anarchismus beschäftigt, stolpert man unweigerlich zu irgendeinem Zeitpunkt über die spanische Revolution, bei der 1936 anarchistische Prinzipien umgesetzt wurden. Dass jener Mann, der für deren Zerschlagung verantwortlich war, 1964 immer noch als Diktator über Spanien herrscht, bewog vor fast genau 50 Jahren einen jungen Schotten, sich an einem Attentat auf General Franco zu beteiligen. Was daraus geworden ist, kann man in der ziemlich unterhaltsamen Biographie von Stuart Christie nachlesen, die jüngst in der Edition Nautilus erschienen ist.

Stuart Christie ist ein Kind der schottischen Arbeiterklasse und wächst in den 1940er und 1950er Jahren in Glasgow und Umgebung auf. Seine Großmutter hat einen prägenden Einfluss auf Stuart, der einen Großteil seiner Kindheit und Jugend bei der Oma lebt. Als Jugendlicher wendet er sich den Sozialisten zu und wird politisch aktiv. Irgendwann entdeckt er den Anarchismus für sich und mit der Anti-Atom-Bewegung und deren Zielen kann er sich identifizieren.

Später dann beschließt Stuart, dass Francos Herrschaft in Spanien beendet werden muss, und begibt sich als Achtzehnjähriger auf Europareise. In Paris wird er von Genossen mit Sprengstoff versorgt, den er über die spanische Grenze bringen soll. So macht sich der langhaarige Schotte in einem viel zu warmen Wollpulli und mit um den Leib geklebtem Sprengstoff auf den Weg. Allerdings wird der Verdächtige schon bald aufgegriffen und landet im spanischen Gefängnis. Der Spanien-Trip ist eine prägende Erfahrung, auch wenn Christie „nur“ drei Jahre seiner zwanzigjährigen Haftstrafe absitzen muss.

Bei seiner Rückkehr in das Vereinte Königreich ist er Großbritannien bekanntester Anarchist und bleibt auch weiter politisch aktiv. Er engagiert sich im ABC (Anarchist Black Cross), einer Hilfsorganisation für Häftlinge und gründet später das anarchistische Magazin Blag Flag.  Das bringt ihn in Kontakt mit den Studentenrevolten von ‚68 und in die Nähe der Angry Brigade, die für einige Sprengstoffanschläge verantwortlich war. Erneut landet Stuart Christie vor Gericht, wird aber freigesprochen. Und engagiert sich anschließend noch immer als Anarchist und unterstützt den Kampf gegen den faschistischen Diktator Franco, der 1975 ganz ohne Christies Zutun an den Folgen eines Herzinfarktes stirbt.

Stuart Christie, 2013Der 1946 geborene Stuart Christie hat seine Erinnerungen zunächst in drei Teilen veröffentlicht, die sich auch in der Kapitelunterteilung des Buchs widerspiegeln. Teil eins beschäftigt sich mit der schottischen Kindheit, der zweite Abschnitt mit dem Attentat auf Franco und der Haftstrafe in Spanien und der letzte Teil schildert das Leben Christies als Teil der linken politischen Szene in den bewegten Jahren um 1968 bis zum Prozess gegen die Angry Brigade. Christie ist ein guter Erzähler und detailfreudiger Chronist. Wobei die Unzahl der Beteiligten und die europäische Vernetzung der Anarchisten und linken Bewegungen im letzten Teil des Buches vielleicht ein wenig zu ausführlich geraten ist. Menschen, die an dieser Zeit interessiert sind, vermittelt Christie allerdings ein detailliertes Bild der politischen Verhältnisse und der Verflechtungen.

Erzählerisch deutlich stärker kommt die Kindheit des Autors zum Tragen und das warmherzige Bild des schottischen Arbeitermilieus, in dem Christie aufwächst ist wunderbar anschaulich, ohne Sozialkitsch und mit einigem Humor vorgetragen.  Auch das „spanische Abenteuer“, das der Autor in der Ruckschau durchaus selbstkritisch zu betrachten weiß, ohne sich von seinen anarchistischen Idealen zu distanzieren, ist spannend zu lesen.

Eine Erkenntnis aus „Meine Oma, General Franco und ich“ ist, dass es im letzten Jahrhundert durchaus ein Kontinuum radikaler anarchistischer Ideen und Aktivitäten gab, das deutlich bis in die Gegenwart  reicht. Die Occupy-Bewegung und andere Roots Revolutionen kommen also nicht aus dem Nichts, oder wurden aus der Neuentdeckung alter Ideen, die als nicht mehr relevant galten,  wiedererweckt, sondern knüpfen an eine sozialkritische und utopische Tradition an, die nie verschwunden war, sondern einfach aus dem Blickfeld geraten ist.

Eine weitere (nicht gerade neue) Erkenntnis ist die, dass eigentlich alle anderen politischen und sozialen Bestrebungen ein großes Problem mit der Ablehnung hierarchischer Strukturen haben, wie sie der Anarchismus zu erreichen sucht. Je nachdem wird Anarchismus dann gesellschaftlich und medial verteufelt oder totgeschwiegen. Stuart Christie ficht das nicht an, er ist auch heute noch als Verleger anarchistischer Literatur aktiv.

Fazit: Man muss Stuart Christies politische Überzeugungen nicht teilen, um diese bewegte Biografie mit Gewinn zu lesen. Zeitkolorit und gelungene Milieustudien machen „Meine Oma, General Franco und ich“ zu einem lesenswerten Buch mit politischem Hintergrund.

Buch-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

CC_Christie_Oma_145_neuStuart Christie: Meine Oma, General Franco und ich
OT: Granny Made Me an Anarchist, UK,  2004
Autor: Stuart Christie
Genre: Biographie, Politik, Anarchismus
Übersetzung: Gabriele Haefs
Verlag: Edition Nautilus, Klappbroschur, 416 Seiten
VÖ: 28.02.2014
Christie bei Edition Nautilus (mit Leseprobe)

die spanische Revolution bei Wikipedia (für den schnellen Überblick)

Die spanische Revolution bei Anarchismus.at (ausführlich und kompetent)

Christie Books

Copyright Autorenfoto: Lucinda Wells