The Amazing Spider-Man: Das Netz neu versponnen

Spider-Man ist zurück auf der Leinwand! Über Sinn und Unsinn des frühen Reboots kann man sich lange streiten und die Spekulationen, warum die erfolgreiche Trilogie nicht fortgesetzt wurde, sind inzwischen müßig. Jetzt wird die Story des beliebten Superhelden eben noch einmal erzählt. Das kann man als Geldmacherei abtun, über Lizenzvereinbarungen sinnieren oder sich einfach ins Kino setzten und mit eigenen Augen sehen, was der „Amazing Spider-Man“ denn so zu bieten hat. Fans können insofern beruhigt sein, als dass sie ihren – von Stan Lee und Steve Ditko für Marvel Comics erdachten – Lieblingsuperheld noch immer wiedererkennen werden. Ansonsten ist in der Neuverfilmung eigentlich vieles anders und höchst gelungen.

Neues Team vor und hinter der Kamera, neue Storyline und ein neuer Superschurke und doch die alte Geschichte von dem zurückhaltenden Außenseiter Peter Parker (Andrew Garfield), der als verwaister Teenager bei seiner Tante May und seinem Onkel Ben (Martin Sheen) lebt. Der junge Mann wird während einer Laborbesichtigung bei Oscorp von einer mutierten Spinne gebissen und übernimmt daraufhin die Fähigkeiten des Tieres. Durch die übermenschlichen Kräfte komplett verwirrt und von der Rolle und weil sich Peter gerade damit beschäftigt, wer seine Eltern waren, gerät er mit Onkel Ben in Streit. Als der kurz darauf zufällig von einem Dieb erschossen wird, beginnt Peter als maskierter Rächer die Suche nach dem Täter und wird zu Spider-Man. Aber wem erzähl ich das alles. Die Story ist den Fans sowieso bekannt.

Umso erstaunlicher, was Drehbuchautor James Vanderbilt („“The Losers“, „Zodiac“) aus der bekannten Geschichte macht und wie Regisseur Marc Webb diese in Szene setzt: Nicht einmal in den Comics hat die Familiengeschichte von Peter so viel Raum bekommen und ist so eng mit den Geschehnissen verwoben. Schon im Vorspann, als Peters Eltern ihn als Kind bei Onkel und Tante unterbringen und kurz darauf bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen, wird deutlich wohin die Reise geht. Auch der Part von Onkel Ben wird deutlich ausgeweitet und der Vaterersatz ist deutlich präsenter als gewohnt. Den Film tut das erstaunlich gut. Dass Peters Vater ein Kollege des späteren Bösewichts ist, macht die Sache noch undurchsichtiger. „The Amazing Spider-Man“ ist weniger ein actionlastiger Haudrauf-Dampfhammer als eine ausgefeilte und außergewöhnliche ComingOf Age Story, erzählt mit dem Mitteln eines Superhelden-Comics. Hört sich jetzt vielleicht wirr an, funktioniert aber erstaunlich gut.

Das liegt vor allem daran, dass Regisseur Marc Webb ein Händchen für die Stimmungen des jungen Helden hat und es Spider-Man Darsteller Andrew Garfield mit großer Glaubwürdigkeit gelingt, Peter als einen verwirrten, aber durchaus eigenwilligen Teenager zu zeigen, der nach seiner Identität und seinem Platz im Leben sucht. Dass der Nerd nicht gerade ein Klassenliebling ist, hat er akzeptiert und es scheint ihn kaum zu stören. Wenn allerdings Gwen Stacy (Emma Stone) in der Name ist, wird Peter zu einen komplett verknallten schüchternen Kerl, der nicht weiß, wohin mit sich. Auch beim Entfalten der Romanze zwichen den beiden geht das Drehbuch sehr frei, aber respektvoll, mit der Comicvorlage um.

Doch „The Amazing Spider-Man“ ist absolut kein Teenie-Drama, sondern hat auch Einiges an gut choreografierter und spektakulärer Action zu bieten. Das Netzwschwingen will gelernt sein und die Luftperspektiven auf New York sind schon atemberaubend. Und mit dem Lizzard bekommt Spider-Man auch einen ebenbürtigen Gegner. Dessen Geburt Peter tragsicherweise mit zu verantworten hat, weil er Doktor Curt Connors (Rhys Ifans) den entscheidenden Hinweis gibt, um den Forschungsdurchbruch zu erreichen. Connors forscht seit Jahrzehnten an Reptilien, weil er hofft, deren Fähigkeiten, abgetrennte Gliedmaßen zu reproduzieren auf den Menschen übertragen zu können. Dem Wissenschaftler fehlt selbst ein Arm. Als die Chefetage von Oscorp endlich Ergebnisse will und droht, die Fördermittel zu streichen, wagt Connors den Selbstversuch und mutiert zum Lizzard. Leider auch mit verheerenden Folgen aufs Hirn. Denn der Lizzard fühlt sich als neue Herrenrasse und will nun ganz New York an seiner freudigen Verwandlung teilhaben lassen. Keine Frage, dass Spider-Man das zu verhindern sucht.

Die eigentlich interessanteste Phase des Heldentums, nicht nur im Superhelden-Genre, war schon immer die, in der sich die Figur überhaupt erst zum Helden entwickelt. Die Veränderungen, Verwandlungen, der Prozess des Übergangs, immer auch symbolisch und als Ritus zu verstehen, ist es, was an den Helden fasziniert. Die Entwicklung ist das spannendste dramaturgische Element von Heldensagen. Insofern wird es nun niemanden mehr verwundern, dass ich „The Amazing Spider-Man“ in eben dieser Hinsicht großartig finde. Da hat der Film eindeutig seine Stärken und Peter Parker geht durch Trauer, Verwirrung, körperliche Veränderungen und tiefe Krisen, bis er sich endlich mit seinem Schicksal aussöhnt. Marc Webb findet dafür tolle Bilder und Szenen, die originell und eindrücklich sind und dabei immer auch die Angst des Teenagers vom Erwachsenwerden transportieren. Dafür ist Andrew Garfield, der schon mit „Boy A“ brillieren konnte die perfekte Besetzung. Sein Peter Parker ist zeitgemäßer, ein bisschen abgefuckter, aber immer noch wiederzuerkennen.

Fazit: „The Amazing Spider-Man“ ist großes Kino und obwohl die Geburt des beleibten Superhelden noch einmal erzählt wird und dabei notgedrungen eine ähnliche Dramaturgie verwendet, unterscheidet sich „The Amazing Spider-Man“ ansonsten sehr von Sam Raimis Version. Das allein rechtfertigt – rein inhaltlich – eine Neuverfilmung. Welchen Spider-Man man als Fan bevorzugt, ist wohl der persönlichen Lesart der Abenteuer geschuldet. Ihre Berechtigung im Spider-Man-Universum haben beide, ganz ohne Zweifel. Mir ist dieser Netzschwinger näher.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

„The Amazing Spider Man“ (in 3D)
OT: The Amazing Spider-Man
Genre: Action, Fantasy
Länge: 136 Minuten, USA 2012
Regisseur: Marc Webb
Darsteller: Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Sony
Kinostart: 28.06.2012

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