Die Schleusen der Sprache

Benjamin_CbyFuhlendorfSatzzeichen. Diese kleinen, komischen Symbole zwischen den Buchstaben sollen dafür sorgen, dass der Informationsfluss in geschriebener Sprache kanalisiert wird. Gesprochen braucht man keine, auch wenn der eine oder andere mal in Tüddelchen redet. Normalerweise reichen Pausen, um den Redefluss zu steuern. Am Wahlabend allerdings meldete sich mal wieder das Phänomen der verschleppten Satzendzeichen zurück auf der Bildfläche.

Statt sich an die übliche Sprachmelodie zu halten, mit ihren Betonungen und Pausen, werden die eigentlich vorgesehenen Unterbrechungen einfach verschoben. Der Satz ist beendet. Es folgt eine Pause im Sprechen.Dann beginnt der nächste Satz. Stattdessen: Der Satz ist beendet es folgt. Eine Pause im Sprechen dann. Beginnt der nächste Satz.

Mich strengt das an. Vor allem, wenn der Redner nicht wirklich um die Zuhörer bangen muss, weil sie sich nicht wehren. Gut, sie könnten abschalten, aber soweit will ja keiner gehen, außerdem  kommt in TV ja noch die Bildinformation hinzu, die häufig mehr Fakten transportiert. Live berichtende Journalisten im Außendienst neigen verstärkt dazu, die Pause zu verschleppen, denn die Aufnahmeleitung sucht ja nur nach einer Gelegenheit sie, die Reporter, abzuwürgen.

Neulich bei der Sportschau bediente sich ebenfalls einer der Kommentatoren dieser Stilkrücke, ohne fürchten zu müssen, abgestellt zu werden. Kein Fußballfan würde mitten im Spiel (bzw. dem Bericht) den Sender wechseln. Selbst gestandene Schauspieler haben mich mit den entführten Satzendpausen schon in semantische Verwirrung getrieben.

Dabei wurde erst jüngst wieder auf die Abhängigkeit von der Informationstechnologie hingewiesen, denn die Menge an Information wächst viermal schneller als die Weltwirschaft. Indiz dafür ist die wachsende digitale Speicherkapazität. Auch Sprache ist eine  Informationstechnologie (wenn nicht gar die Infotec überhaupt). Umso schlimmer, wenn es bei der Übertragung zu Störungen kommt. Störungen, die das ganze System obsolet machen.

Ebenso wie in der Wirtschaft kann man allerdings auch im Informationssektor die Wachstumsstrategie in Frage stellen. Eine stetige Steigerung muss nicht wünschenswert sein. Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development) geht auch davon aus, dass  eine kritische Grenze des Wachstums existiert (Club of Rome). Warum soll dies informationsökologisch nicht genauso gelten? Schon Laotse wusste, dass Wissen (wohlgemerkt nicht Weisheit) dem Glück im Wege steht.

Immer mehr Infos und keine Technik, um der Welle Herr zu werden. Alle Kanäle überflutet und nun klemmen auch noch die Schleusen. Wie soll der Mensch, dies Tier, da jemals bis an William Blakes Pforten der Wahrnehmung gelangen, geschweige denn hindurch?

Oder man geht den Weg konsequent weiter und rennt solange in die entgegengesetzte Richtung, bis bewiesen ist, dass die Welt keine Scheibe ist: Ungefiltertes Gebrabbel, überflüssige Informationen, ohne jede Pause, ohne Punkt und Komma. Einfach immer weiter und weiter – bis zu Molly Blooms schlaflosem, gnadenlosem Monolog (James Joyce: „Ulysses“, letztes Kapitel).

Und alles nur, weil sich wieder keiner an die gewerkschaftlich vorgeschriebenen Pausen hält.